Kammermusik in Acryl
Anmerkungen zur Serie 2150 von Jochen Bentrup
Senkrechte, mit Acrylfarbe gezogene breite Linien ziehen sich in unterschiedlichen Abständen über ein kleines, hochformatiges, nur 15 cm hohes, mit verschiedenen Farbschichten bedecktes Papierblatt. Dies sehen wir immer wieder, in zahlreichen Variationen. Dabei kreist die Farbgebung der einzelnen Streifen meist um eine Grundfarbe herum, z. B. Rot oder Gelb. Der dominierende Ton des polychrom changierenden Grundes kann farblich nahe an denen der Streifen liegen, aber auch stark mit ihnen kontrastieren.
Das wäre die grobe phänomenale Beschreibung dessen, wie der Maler Jochen Bentrup in der Serie 2150 vorgeht, beziehungsweise worauf er sich beschränkt. Es gibt ältere Werkserien, in denen Querformate übereinandergesetzt sind oder sich kürzere, mit Ölfarbe auf Papier oder Nesselgrund gesetzte blaue, orange oder ockerfarbene Striche leicht gegeneinander versetzt oder in einem rhythmischen Muster über die Fläche verteilen.
Die strikte Begrenzung auf ein mehr oder weniger geometrisches Raster lässt Bentrups künstlerische Herkunft aus einem Umfeld erkennen, das der konkreten Malerei zuzuordnen ist. Er steht der Gruppe „Systhema“ nahe, die sich in den 1970er Jahren in Berlin formierte und sich radikal von dem figurativen Realismus abgrenzte, der die dortige Malereiszene damals dominierte.
Bentrups Werk unterscheidet sich jedoch in wesentlichen Aspekten von anderen konkreten Konzepten. Weder findet man bei ihm eine harte, sauber konturierte Abgrenzung der Farbfelder voneinander noch die Zurücknahme jeder malerischen Gestik zugunsten eines gleichmäßigen flächigen Farbauftrags. Wenn er sich selbst eher einen „Lyriker unter den Konkreten“ nennt, stellt er damit bewusst auch eine Assoziation zur Dichtersprache und der Musik her. Damit greift er eine Tradition aus der Frühzeit der ungegenständlichen Malerei auf. Direkte Beziehungen des Bildnerischen zur Musik finden wir etwa bei Wassily Kandinsky und intensiver bei František Kupka.
Bentrup ist auch Musiker, Kontrabassist. Doch wie sieht die Beziehung zwischen Bildender Kunst und Musik in seiner Malerei konkret aus? Assoziativ hergestellt wird sie zunächst über Bildtitel wie „Vierklang“, „Die ersten zwei Strophen“, „Sommerlied“, „Kadenz über Gelb“ oder „Tonlagen“.
Wenn Bentrup seine Farbmodulationen als „Chromatik“ bezeichnet, verwendet er bewusst einen Begriff, der sowohl in der Musik als auch in der Farbenlehre verwendet wird. Allerdings ordnet er nicht, wie einst Kandinsky oder der russische Komponist Alexander Skrjabin, bestimmte Farben bestimmten Tönen zu. Es geht ihm nicht um mögliche synästhetische Erfahrungen, sondern um Assoziationsräume, die letztlich durch die Imagination der Betrachter*innen gefüllt werden. Wie schon erwähnt, können Assoziationen durch Werktitel wie auch durch Sprach-Bilder geweckt werden. Wenn – anders als bei den Papierarbeiten der Serie 2150 – der Holzbildgrund bisweilen zu blockhafter Dicke anschwillt, spricht Bentrup von „Malstücken“, wie man es ja auch bei „Musikstücken“ tut, allerdings bezieht sich das „Stück“ hier auf die physische Substanz und die Farbskala, die vor dem Auge „spielt“.
Lassen sich die vielen einzelnen Papierarbeiten wie Aufführungen von Partituren auffassen? In diesem Sinne könnte man auch von einer konzeptuellen Idee sprechen, die verschiedene Realisationen erfährt. Serie 2150 besteht aus insgesamt 90 Doppelblättern. Jedes der beiden Blätter zeigt jeweils eine Farbprogression auf polychromem Grund. Der Blick wandert zwischen beiden Teilen der Halbsequenz und auf der chromatischen Tonreihe hin und her.
Steht also doch eine Systematik dahinter, wie sie das Vorgehen der typischen ‚Konkreten' prägt? Einzelne Entscheidungen, etwa die Streifenbreite, richtet Bentrup nach der Pinselbreite, hier Nr. 8, woraus sich auch die Anzahl der Streifen auf dem Blatt ergibt. Bewusst gewählt wird, ob die Reihe zum Hellen oder Dunklen oder zu einer anderen Buntheit neigt. Die Ausgangsfarbe wählt er als mehr oder weniger starken Kontrast zum Grund, der in diesen Blättern aus zahlreichen Lasuren verschiedener Farbtöne besteht.
Letztlich geht es Bentrup um ein Hineinsehen in die Farben, um die Betrachtung der chromatischen Progressionen, um das Verhältnis von Harmonie und Disharmonie.
Hineinhören in Töne oder das imaginäre Hineinhorchen in Worte kennzeichnet die lyrische Sprache. Und wenn die Lyrik das Kleinformat der literarischen Sprache darstellt, dem Bentrups Werk assoziativ näher als einem episch erzählenden Roman steht, so wäre das der Serie 2150 entsprechende musikalische Format die kleine Besetzung – Kammermusik in Acrylfarbe. Aber das sind assoziative Analogien – es geht Bentrup, wie schon gesagt, nicht allein darum, systematische Entsprechungen zwischen Bild, Musik und Sprache herzustellen und zu behaupten. Seine Malerei liefert vielmehr eine Art Partitur, die durch die Aktivität und Imaginationskraft der Betrachter*innen aufgeführt wird und so die Farben zum Klingen bringt.
Ludwig Seyfarth
Chamber Music in Acryl
Comments on Series 2150 from Jochen Bentrup
Broad, vertical lines drawn with acrylic paint stretch at differing widths across a small portrait-format sheet of paper just 15 cm high and covered in various layers of colour. This we see repeatedly in numerous variations. Doing so, the colour scheme mostly encircles the individual stripes with a primary colour, such as red or yellow. The dominant shade of the polychromatic, iridescent background can, in terms of the colouring, be close to that of the stripes, or even form a powerful contrast to them.
This would constitute a rough, phenomenal description of the painter Jochen Bentrup's approach with Series 2150, or to what he confines himself therein, as the case may be. There are older series of works, in which landscape formats are arranged over each other. Or shorter blue, orange or ochre strokes are set off slightly against each other using oil on paper or mottled backgrounds, or they are distributed in a rhythmic pattern across the surfaces.
The strict limitation to a more or less geometric arrangement permits the recognition of Bentrup's artistic origins within a setting to which the specific painting is assignable. He has an affinity with the "Systhema" group that formed in Berlin in the 1970s and differentiated itself radically from figurative realism, which dominated the art scene there at that time.
However, in fundamental aspects, Bentrup's work differs from other concrete concepts. Here we find neither a hard, clean contouring demarcation of the colour fields from each other, nor the revocation of each and every pictorial gesture in favour of a consistent, planar application of the paint. When he himself speaks of being more of a "lyricist among the concrete ones", he is also consciously establishing an association with poetic language and music. In this way, he is reverting to a tradition from the early period of abstract, non-representational painting. We find direct relationships between the pictorial and the musical in Wassily Kandinsky's works, for instance, and even more intensively with František Kupka.
Bentrup is himself also a musician, a double-bass player. Yet how does the relationship between the visual arts and music appear concretely in his paintings? It is initially established associatively via picture titles such as "Vierklang" (Tetrachord), "Die ersten zwei Strophen" (The First Two Verses) "Sommerlied" (Summer Song), "Kadenz über Gelb" (Cadence via Yellow), or "Tonlagen" (Pitches).
When Bentrup describes his colour modulations as "chromatic", he is consciously using a term that is applied both in music and in the theory of colours. However, he does not assign specific colours to specific sounds, as Kandinsky or the Russian composer Alexander Scriabin once did. His concern is not with gaining potential synaesthetic experiences, but rather with having associative spaces that are ultimately filled by the viewers' imagination. As already mentioned, associations can be evoked through picture titles, as indeed via speech-images. When – unlike with the works on paper in Series 2150 – the wooden pictorial background billows to a blocky thickness, then Bentrup speaks of "pieces of painting" in a manner similar to how one also does with "pieces of music". In this case, however, the "piece" here refers to the physical substance and the colour scale that is "performing" before our eyes.
Do the numerous individual works on paper permit themselves to be understood as being performances of scores? In this sense, could we also speak of a conceptual idea that experiences various realisations? Serie 2150 consists of 90 double sheets in total. Each of the two sheets shows in every case a colour progression on a polychrome background. Our eyes move back and forth between both parts of the semi-sequence and to the chromatic series of tones.
So is there in fact a system or scheme behind it all that characterises and shapes the approach of the typical 'concrete ones'? Individual decisions, such as the width of the stripes, are determined by Bentrup on the basis of the brush widths – a No. 8 in this case – from which the number of stripes on the sheet also results. Likewise, a conscious decision is taken as to whether the series tends to be light or dark, or some other variegation. He selects the original colour as a more or less powerful contrast to the background, which consists of numerous glazes of differing colour shades.
Ultimately, Bentrup is concerned with looking into the colours, with observing their chromatic progressions, with the relationship between harmony and disharmony.
Listening into tones and sounds, or the imaginary listening into words, are what characterises lyrical language. And if lyrical verse represents the small format, so-to-speak, of literary language, to which Bentrup's work is closer associatively than it is to an epically narrative novel, then Series 2150 would – corresponding to the musical format of the small ensemble – be chamber music in acryl paint. These are, however, associative analogies. As already mentioned, Bentrup is not solely concerned with establishing and asserting systematic equivalences between image, music and language. In fact, his painting provides a kind of score that is performed through the viewers' activities and powers of imagination, and thus accord sounds to the colours.
Ludwig Seyfarth — Übersetzer Finbarr Morrin